Das Bundesverwaltungsgericht zur Altersdiskriminierung: die Entscheidungsründe liegen vor
Die mit Spannung erwartete Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts in den dort entschiedenen (Pilot-)verfahren liegen jetzt vor (Link). Aus der Verhandlung wussten wir bereits, dass die geltend gemachte Besoldung nach der höchsten Besoldungsstufe als Kompensation der altersdiskriminierenden Besoldung nicht zugesprochen werden würde. Ebenso war nach dem vorangegangenen Urteil des EuGH in den Sachen Specht u.a. klar, dass die Umstellung in das neue Erfahrungsstufensystem vom EuGH gebilligt worden war.
Worum es aber noch ging, ist die Frage eines Anspruches wegen Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) für die Zeit bis zur Besoldungsumstellung, den das BVerwG dem Grunde nach bejaht hatte, weshalb es den dortigen Klägern teilweise eine Geldentschädigung zugesprochen hatte. Die Rechtsgrundlage des §15 Abs. 4 AGG sieht aber für die (schriftliche) Geltendmachung eines solchen Anspruchs eine sehr kurze Frist von nur 2 Monaten vor, wobei diese Frist nach dem Gesetz grds. beginnen soll, wenn der Betroffene von der Benachteiligung Kenntnis hat (zur Ausnahme weiter unten). Die spannende Frage war also, wann diese Frist zu laufen begann und ob es auf die tatsächliche (subjektive) Kenntnis ankommt, oder ob ein objektiver Zeitpunkt für den Beginn der Frist bestimmt wird. Das hatte das BVerwG in seiner mündlichen Verhandlung noch nicht dargerlegt.
Die jetzt vorliegende Urteilsbegründung sagt dazu nun folgendes (Rz. 52):
„Grundsätzlich hat der Beschäftigte Kenntnis von der Benachteiligung, wenn er die anspruchsbegründenden Tatsachen kennt. Dass er aus diesen Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht, ist nicht erforderlich. Von diesem Grundsatz ist eine Ausnahme für den Fall einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage geboten. Der Lauf der Ausschlussfrist beginnt dann zu dem Zeitpunkt, ab dem die Erhebung einer Klage für den Betroffenen zumutbar ist, d.h. die Klage hinreichend aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos ist (dazu folgen Rspr.-Nachweise). Danach ist in diesen Fällen die objektive Klärung der Rechtslage durch höchstrichterliche Entscheidungen maßgeblich (BGH, Urteil vom 23. September 2008 a.a.O. Rn. 19).“
Und dann folgt der hier entscheidende Satz (Rz. 53):
„Die entscheidungserhebliche Rechtslage ist hier durch die Verkündung des Urteils des EuGH in Sachen Hennigs und Mai am 8. September 2011 geklärt worden.“
Damit wäre von einem Ablauf der 2-Monats-Frist am 8. November 2011 (nach Verkündung in der Sache Hennigs) auszugehen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten aber nur sehr wenige Beamte Ansprüche geltend gemacht. Das EuGH-Urteil Hennigs wurde von der Öffentlichkeit (auch dem juristischen Fachpublikum) in seiner Tragweite erst viel später wahrgenommen. Auch wir hatten mit unserer ersten Mandanteninformation im Jahr 2011 erst das (nachfolgende) Urteil des Bundesarbeitsgerichts in der Sache Hennigs aufgegriffen, mit dem das BAG eine tarifliche Vergütung nach der höchsten Altersstufe als Folge der Altersdiskriminierung zugesprochen hatte. Dieses Urteil wurde aber erst am 10.11.2011 verkündet. Folgerichtig wären – stellt man mit dem BVerwG auf die Verkündung des EuGH-Urteils ab – sämtliche erst nach der BAG-Entscheidung erfolgten Geltendmachungsschreiben nicht mehr innerhalb der 2-Monatsfrist erfolgt und die geltend gemachten Ansprüche daher nach dem AGG nicht mehr berücksichtigungsfähig.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist aber nicht überzeugend. Das Gericht verweist auf die Rspr. des Bundesgerichtshofes, der aber tatsächlich ganz anders entschieden hatte. In der Textziffer 19 der Entscheidung des Bundesgerichtshofes heißt es (BGH Urt. v. 23. September 2008 – XI ZR 262/07 – NJW-RR 2009, 547 Rn. 15, auch bei juris, Rn.19):
„Nach der Veröffentlichung dieser Entscheidungen in der NJW als der auflagenstärksten juristischen Fachzeitschrift in den Heften vom 4. Januar 2001, 17. Dezember 2001 und 2. Januar 2002 stand die zuvor unklare Rechtslage dem Verjährungsbeginn nicht mehr entgegen.“
Der BGH stellt demnach auf die Veröffentlichung in der NJW ab, nicht auf die Verkündung des klärenden Urteils. In eben dem Urteil, auf das das Bundesverwaltungsgericht Bezug nimmt, wird demnach ein deutlich späterer Zeitpunkt für den Fristbeginn im Sinne einer „Klärung der Rechtslage“ herausgearbeitet, nämlich die Veröffentlichung der klärenden Rechtsprechung in der NJW . Das BVerwG verweist in seinem Urteil ganz gezielt auf diese Rechtsprechung, gibt sogar die Textziffer an, wendet selbst aber einen viel früheren Fristbeginn an (den der Verkündung der Entscheidung, nicht der Veröffentlichung). Dies können wir nicht nachvollziehen.
Wir haben deshalb – bevor wir hier die zahlreichen von uns vertretenen Verfahren durch Rücknahmen von Klagen und Widersprüchen „aufgeben“ – Verfassungsbeschwerde erhoben.
Unserer Auffassung nach verletzen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (gesetzlicher Richter). Das BVerwG hat hinischtlich des Fristbeginns für die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGG/SoldGG eine andere Rechtsauffassung vertreten, als der von ihm explizit zitierte Bundesgerichtshof in dessen Rechtsprechung. Es hätte dann das Verfahren dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe vorlegen müssen. Das Unterlassen dieser Vorlage bei abweichender Entscheidung in der Sache sehen wir als Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.
Allerdings muss man wissen, dass Verfassungsbeschwerden allgemein eine problematische Erfolgsaussicht haben. Das Bundesverfassungsgericht versteht sich explizit nicht als „Superrevisionsinstanz“ und unterzieht Entscheidungen der Fachgerichte regelmäßig nicht einer allgemeinen inhaltlichen Prüfung. Erst wenn hier eine gewisse Erheblichkeitsschwelle erreicht ist, wenn eine Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, greift das Bundesverfassungsgericht ein.
Das ist unserer Auffassung nach aber hier der Fall, das Bundesverwaltungsgericht ist hier in einer rechtsgrundsätzlichen Frage diametral von der Rspr. des Bundesgerichtshofes abgewichen, ohne dies auch nur mit einem Wort zu begründen, verweist sogar in seinen Urteilsausführungen auf den BGH und entscheidet dann doch anders. Insoweit hätte es den gemeinsamen Senat anrufen müssen.
Auch der Sache nach überzeugt der vom BVerwG angenommene Fristbeginn nicht. Denn eine Klärung der Rechtslage setzt der Logik nach voraus, dass sie dem betroffenen Bürger auch zugänglich ist, also bekannt wird, er mindestens eine reale Chance hat, Kenntnis zu erlangen. Der Ansatz des Bundesgerichtshofes, einen solchen objektiven Kenntnisstand bei Veröffentlichung in dem juristischen Fachblatt NJW anzunehmen, erscheint deshalb lebensnah und richtig. Die Annahme des BVerwG eines Fristbeginns bei bloßer Verkündung eines Urteils des EuGH in Luxemburg dagegen nicht, weil kein normaler Bürger die vom EuGH in Luxemburg erlassenen Urteile schon bei ihrer Verkündung wahrnimmt oder gar routinemäßig Internetseitveröffentlichungen des EuGH liest. Selbst der juristischen beamtenrechtlichen Fachwelt war die Tragweite der EuGH-Entscheidung Hennigs lange Zeit entgangen, diese war zudem auf das Tarifrecht, also das Arbeitsrecht bezogen. Erst als das Bundesarbeitsgericht, welches hier dem EuGH vorgelegt hatte, seinerseits in der Folge von dessen Urteil am 10.11.2011 entschieden hatte, dass alltersdiskriminierte Arbeitnehmer nach der höchsten Entgeltstufe des Tarifvertrages zu vergüten seien, kann ggf. von einer Klärung der Rechtslage mit Fristbeginn ausgegangen werden, wenn man bei dem Betroffenen Beamten noch das europarechtliche Fachwissen unterstellt, dass im europarechtlichen Kontext Beamte „Arbeitnehmer“ sind.
Das BVerwG hat mit den hier ergangenen Urteilen damit zwar einerseits einen Ausgleich für die früher altersdiskriminerende Besoldung geschaffen, andererseits diesen aber für nahezu alle Betroffenen zugleich wieder ausgehebelt, indem es eine nicht einhaltbare Fristbestimmung vorgenommen hat. Und dies in explizitem Widerspruch zur bisherigen höchstrichterlichen Rspr. des BGH und ansonsten kommentarlos, ohne jede Begründung der Abweichung. Aus unserer Sicht ist diese Entscheidung nicht nur rechtsfehlerhaft weil verfassungswidrig, sondern auch ausgesprochen unglücklich, weil so der Einduck einer rechtspolitischen Entscheidung entsteht. Den millionenfach betroffenen Beamten werden hier mit einer nicht verständlichen Fristbestimmung die dem Grunde nach zugestanden Ausgleichsansprüche faktisch und gleichzeitig entzogen. Der Bund und die Länder sparen sich Millionen, ihre jahrelange europarechtswidrige Besoldungspraxis aber bleibt ohne Sanktion. Oder anders: Der Dienstherr konnte hier „ungestraft“ seit Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen, während die Beamten mit ihren Ansprüchen ausgeschlossen bleiben, weil sie eine Frist nicht eingehalten haben sollen, deren Beginn durch eine Kenntnis definiert wird, die sie nicht haben konnten.
Wir hoffen daher, dass das Bundesverfassungsgericht hier korrigierend eingreift.
Über die weitere Entwicklung werden wir an dieser Stelle informieren.