Verfassungswidrige Richter-Besoldung in Sachsen-Anhalt; Verfassungsrechtliche Vorgaben auch für die Beamtenbesoldung
Mit Urteil vom 5. Mai 2015 (2 BvL 17/09 u.a.) hat das Bundesverfassungsgericht die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 1 in Sachsen-Anhalt in den Jahren 2008 bis 2010 als mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar erklärt und dabei die Kriterien konkretisiert, nach denen die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation zu überprüfen ist.
Die insoweit aufgestellten Grundsätze sind in gleicher Weise auf die Beamtenbesoldung anwendbar und übertragbar.
Die Urteile des BVerfG im Einzelnen:
Nach den Entscheidungsgründen des BVerfG Danach sind auf einer ersten Prüfungsstufe fünf Parameter mit indizieller Bedeutung heranzuziehen; wenn mindestens drei davon erfüllt sind bestehe die Vermutung für eine verfassungswidrige Unteralimentation.
Diese Parameter sind:
eine deutliche Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung und der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst, des Nominallohnindex sowie des Verbraucherpreisindex, darüber hinaus ein systeminterner Besoldungsvergleich und ein Quervergleich mit der Besoldung des Bundes beziehungsweise anderer Länder.
Auf einer zweiten Prüfungsstufe kann diese Vermutung durch Berücksichtigung weiterer Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung widerlegt oder weiter erhärtet werden.
Auf einer dritten Prüfungsstufe ist gegebenenfalls eine Abwägung mit kollidierenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen wie dem Verbot der Neuverschuldung herbeizuführen; im Ausnahmefall kann eine Unteralimentation verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.
Nach diesem Maßstab sind nach dem Urteil des BVerfG die Grundgehaltssätze der Richter in der Besoldungsgruppe R 1 in Sachsen-Anhalt in den Jahren 2008 bis 2010 mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar. Das Gericht hat den Landesgesetzgeber verpflichtet, eine verfassungskonforme Regelungen spätestens mit Wirkung ab dem 1. Januar 2016 zu treffen.
Die ebenfalls geprüften Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 1 in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2003 sowie die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 3 in Rheinland-Pfalz ab dem 1. Januar 2012 sind dagegen nach dem, Urteil mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar.
Das Bundesverfassungsgericht hat in den hier ergangenen Urteilen grundsätzliche Feststellungen zur Richterbesoldung getroffen, die in gleicher Weise für Beamte gelten. Eine Zusammenfassung dieser Ausführungen finden Sie hier: >Link<
Zusammenfassende Darstellung der Entscheidungsgründe der Urteile des BVerfG zur Richterbesoldung in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und NRW (2 BvL 17/09, 2 BvL 1/14, 2 BvL 3/12, 2 BvL 4/12, 2 BvL 5/12, 2 BvL 6/12, 2 BvL 18/09.
Der Dienstherr ist gemäß Art. 33 Abs. 5 GG nach dem Alimentationsprinzip verpflichtet, Richter und Staatsanwälte [und auch alle sonstigen Beamte] sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Bei der praktischen Umsetzung besitzt der Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum, dem eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte gerichtliche Kontrolle entspricht.
Die materielle Kontrolle beschränkt sich dabei im Ergebnis auf die Frage, ob die Bezüge evident unzureichend sind. Ob dies der Fall ist, muss anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien und unter Berücksichtigung der konkret in Betracht kommenden Vergleichsgruppen geprüft werden.
Im Rahmen dieser Gesamtschau liegt es nahe, mit Hilfe von aus dem Alimentationsprinzip ableitbaren und volkswirtschaftlich nachvollziehbaren Parametern einen durch Zahlenwerte konkretisierten Orientierungsrahmen zu ermitteln. Hierzu eignen sich fünf Parameter, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Alimentationsprinzip angelegt sind und denen indizielle Bedeutung bei der Ermittlung des verfassungsrechtlich geschuldeten Alimentationsniveaus zukommt. Ist die Mehrheit dieser Parameter erfüllt, besteht eine Vermutung für eine verfassungswidrige Unteralimentation (1. Prüfungsstufe).
Ein erster Parameter ist eine deutliche Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung und den Tarifergebnissen der Angestellten im öffentlichen Dienst in dem jeweils betroffenen Land oder – bei der Bundesbesoldung – auf Bundesebene. Ein Indiz für eine evidente Missachtung des Alimentationsgebotes liegt in der Regel vor, wenn die Differenz zwischen den Tarifergebnissen und der Besoldungsanpassung mindestens 5 % des Indexwertes der erhöhten Besoldung beträgt. Ausgehend von dem jeweils streitgegenständlichen Zeitabschnitt ist die Betrachtung dabei auf den Zeitraum der zurückliegenden 15 Jahre zu erstrecken.
Ein zweiter Parameter ist eine deutliche Abweichung der Besoldungsentwicklung von der Entwicklung des Nominallohnindex im jeweils betroffenen Land. Eine evidente Missachtung des Alimentationsgebotes ist indiziert, wenn die Differenz bei Zugrundelegung eines Zeitraums von 15 Jahren mindestens 5 % des Indexwertes der erhöhten Besoldung beträgt. Verzerrungen infolge der Steuerprogression oder der Belastung mit Sozialabgaben fallen bei dieser relationalen Betrachtung nicht signifikant ins Gewicht und könnten gegebenenfalls im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden.
Ein dritter Parameter ist eine deutliche Abweichung der Besoldungsentwicklung von der Entwicklung des Verbraucherpreisindex in dem jeweils betroffenen Land oder – bei der Bundesbesoldung – auf Bundesebene. Bleibt die Besoldungsentwicklung im verfahrensgegenständlichen Zeitabschnitt hinter der Entwicklung des Verbraucherpreisindex in den zurückliegenden 15 Jahren um mindestens 5 % zurück, ist dies ein weiteres Indiz für die evidente Unangemessenheit der Alimentation.
Ein vierter Parameter ist der systeminterne Besoldungsvergleich. Aus dem Leistungsgrundsatz in Art. 33 Abs. 2 GG und dem Alimentationsprinzip in Art. 33 Abs. 5 GG folgt ein Abstandsgebot, das es dem Gesetzgeber ungeachtet seines weiten Gestaltungsspielraums untersagt, den Abstand zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen dauerhaft einzuebnen. Eine deutliche Verringerung der Abstände der Bruttogehälter in den Besoldungsgruppen infolge unterschiedlich hoher linearer Anpassungen bei einzelnen Besoldungsgruppen oder zeitlich verzögerter Besoldungsanpassungen indiziert daher einen Verstoß gegen das Abstandsgebot. Ein Verstoß liegt in der Regel vor bei einer Abschmelzung der Abstände zwischen zwei vergleichbaren Besoldungsgruppen um mindestens 10 % in den zurückliegenden fünf Jahren.
Ein fünfter Parameter ist der Quervergleich mit der Besoldung des Bundes und anderer Länder. Zeigt sich eine erhebliche Gehaltsdifferenz im Vergleich zum Durchschnitt der Bezüge der jeweiligen Besoldungsgruppe im Bund oder in den anderen Ländern, spricht dies dafür, dass die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion nicht mehr erfüllt. Wann eine solche Erheblichkeit gegeben ist, kann nicht pauschal beantwortet werden. Liegt das streitgegenständliche jährliche Bruttoeinkommen einschließlich etwaiger Sonderzahlungen 10 % unter dem Durchschnitt des Bundes und anderer Länder im gleichen Zeitraum, ist dies jedenfalls ein weiteres Indiz für eine verfassungswidrige Unteralimentation.
Wenn drei der oben genannten fünf Parameter erfüllt sind, besteht die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation; diese Vermutung kann im Rahmen einer Gesamtabwägung durch Berücksichtigung weiterer alimentationsrelevanter Kriterien widerlegt oder weiter erhärtet werden (2. Prüfungsstufe).
Zu diesen weiteren Kriterien zählen das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft sowie die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und Beanspruchung.
Ob die Alimentation ihre qualitätssichernde Funktion erfüllt, zeigt sich auch daran, ob es in dem betreffenden Land gelingt, überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte für den höheren Justizdienst anzuwerben. Dies ist nicht der Fall, wenn das Niveau der Einstellungsnoten über einen Zeitraum von fünf Jahren in erheblicher Weise sinkt und/oder die Voraussetzungen für die Einstellung in den höheren Justizdienst spürbar herabgesetzt werden.
In der Höhe der Alimentation spiegelt sich auch die besondere Qualität der Tätigkeit und Verantwortung eines Richters oder Staatsanwalts wider. Insbesondere die durch Art. 97 Abs. 1 und Abs. 2 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit muss auch durch die Besoldung der Richter gewährleistet werden.
Die Amtsangemessenheit der Alimentation ist ferner auch im Lichte des Niveaus der Beihilfe- und Versorgungsleistungen zu bewerten. So kann etwa eine Vielzahl zeitlich gestaffelter, für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Einschnitte des Gesetzgebers im Beihilfebereich das für den sonstigen Lebensunterhalt zur Verfügung stehende Einkommen unangemessen reduzieren („Salami-Taktik“). Auch Kürzungen der Altersversorgung können zu einer Unterschreitung der verfassungsrechtlich gebotenen Alimentation führen.
Ob die Alimentation einem Amt, das für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte attraktiv sein soll, angemessen ist, zeigt schließlich auch ein Vergleich der Besoldungshöhe mit den durchschnittlichen Bruttoverdiensten sozialversicherungspflichtig Beschäftigter mit vergleichbarer Qualifikation und Verantwortung in der Privatwirtschaft. Dabei dürfen die Besonderheiten des Status und des beamtenrechtlichen Besoldungs- und Versorgungssystems aber nicht außer Acht gelassen werden.
Ergibt die Gesamtschau, dass die als unzureichend angegriffene Alimentation grundsätzlich als verfassungswidrige Unteralimentation einzustufen ist, bedarf es der Prüfung, ob diese im Ausnahmefall verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Der Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation ist Teil der mit den hergebrachten Grundsätzen verbundenen institutionellen Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG. Soweit er mit anderen verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen oder Instituten kollidiert, ist er entsprechend dem Grundsatz der praktischen Konkordanz im Wege der Abwägung zu einem schonenden Ausgleich zu bringen (3. Prüfungsstufe).
Verfassungsrang hat namentlich das Verbot der Neuverschuldung in Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG („Schuldenbremse“). In den Haushaltsjahren 2011 bis 2019 sind die Haushalte der Länder gemäß Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG – keine strukturelle Nettokreditaufnahme – erfüllt wird. Dieser Vorwirkung hat der Haushaltsgesetzgeber auch bei der Anpassung der Bezüge der Richter und Beamten Rechnung zu tragen.
Allein die Finanzlage der öffentlichen Haushalte oder das Ziel der Haushaltskonsolidierung vermögen den Grundsatz der amtsangemessenen Alimentierung jedoch nicht einzuschränken; andernfalls liefe die Schutzfunktion des Art. 33 Abs. 5 GG ins Leere. Auch das besondere Treueverhältnis verpflichtet Richter und Beamte nicht dazu, stärker als andere zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte beizutragen. Eine Einschränkung des Grundsatzes der amtsangemessenen Alimentierung aus rein finanziellen Gründen kann zur Bewältigung von Ausnahmesituationen (vgl. Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG) in Ansatz gebracht werden, wenn die betreffende gesetzgeberische Maßnahme ausweislich einer aussagekräftigen Begründung in den Gesetzgebungsmaterialien Teil eines schlüssigen und umfassenden Konzepts der Haushaltskonsolidierung ist.
Die Festlegung der Besoldungshöhe durch den Gesetzgeber ist an die Einhaltung prozeduraler Anforderungen geknüpft. Diese Anforderungen treffen ihn insbesondere in Form von Begründungspflichten. Die Ermittlung und Abwägung der berücksichtigten und berücksichtigungsfähigen Bestimmungsfaktoren für den verfassungsrechtlich gebotenen Umfang der Anpassung der Besoldung müssen sich in einer entsprechenden Darlegung und Begründung im Gesetzgebungsverfahren niederschlagen.